Das Geschäft mit der Angst

Seit geraumer Zeit kursiert ein Video im Internet, welches Sicherheitsexperten bisweilen Schweißperlen auf die Stirn treibt. Es zeigt eine Drohne, welche mit einer vollautomatischen Schusswaffe und einer Zieloptik in der Lage ist, beliebige Ziele zu bekämpfen und auszuschalten. Am Ende des Videos fliegt der Pilot die Drohne in ein Fahrzeug, welches dann in einem großen Feuerball explodiert. Eines vorweg: Das einzig Echte an diesem Video ist der vermeintliche Copter-Pilot – eine Analyse.

Lange habe ich überlegt, wie ich dieses Video analysieren und bewerten soll. Zuerst wollte ich die inhaltlichen Fehler nach Themengebieten auflisten und diese dann abarbeiten. Da aber so viel aufgefallen ist, gehe ich stattdessen das Video Bild für Bild durch. 

Wer ist Dmitri Potapoff?

Das fragliche Video wurde von einem YouTube-Kanal namens „FPSRussia“ hochgeladen. Dort findet man allerlei Waffen-Videos, in welchen effektvoll mit eben diesen Waffen geschossen wird. Diese sind auch definitiv echt – in den USA keine Seltenheit. Der Mann vor der Kamera nennt sich selbst Dmitri Potapoff und spricht mit einem starken russischen Akzent. Hier beginnt bereits die Ente. In Wahrheit heißt der gute Mann Kyle Myers und wurde am 09. Mai 1986 in Hart County im US-Bundesstaat Gerorgia geboren. Das Thema Waffen nimmt er in seinen Videos nicht sonderlich ernst, stattdessen schießt er lieber belanglos auf Melonen, gefüllte PET-Flaschen oder auf benzingeladene Schaufensterpuppen, welche dann spektakulär explodieren. In einem solchen Umfeld sollte schon klar sein, dass Videos auf diesem Kanal nicht immer ernst zu nehmen ist. 

Als besonderes Schmankerl bekommt der geneigte Leser nach kurzer Recherche raus, dass der Star der Show Kyle Myers alias Dimitri Potapoff inzwischen wegen Drogenbesitzes verhaftet wurde, eine Durchsuchung der US-Waffenbehörde ATF auf seinem Anwesen stattgefunden hat und sein Crew-Mitglied Keith Ratliff unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden wurde.

Die vermeintliche Killer-Drohne

Zugegeben, das Szenario ist nicht frei aus der Luft gegriffen. In Zeiten, in welchen das Militär pausenlos an immer neuen Fähigkeitspaketen für UAVs (unpiloted aerial vehicle) arbeitet, im Irak und in Syrien der IS frei verkäufliche Drohnen der Mittel- bis Oberklasse mit Sprengstoff vollstopft und als fliegende Bomben in Gebäude und auf Kontrollpunkte der Armee stürzen lässt, entspringt es nicht einer unbändigen Fantasie, eine Drohne mit einer vollautomatischen Waffe auszurüsten und in den Einsatz zu schicken. Aber – der folgende Text soll zeigen, dass dieses Fluggerät nicht in der Lage ist, ein solches Szenario Wirklichkeit werden zu lassen. Grundsätzlich gilt: Jede Szene, in welcher das Fluggerät sich in der Luft befindet ist im CGI-Labor entstanden. Diese Drohne hat den Boden niemals verlassen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Beginnen wir vorne

Dimitri beginnt zu erzählen, was sein Copter alles kann. Er erläutert die Notwendigkeit, dass die Soldaten der Zukunft das Gefechtsfeld überblicken können müssen, um richtig handeln zu können. Sein Copter sei ein Werkzeug, welches das leisten könne. Dazu schauen wir uns mal die Front und die verbaute Optik genauer an.

Mit dieser Optik könnte ein Soldat auf dem Gefechtsfeld jedenfalls wenig anfangen, denn diese scheint starr montiert zu sein, erlaubt maximal ein Schwenken nach oben und unten. Moderne Optiken im militärischen Bereich sehen jedenfalls anders aus, wie das folgende Bild der Optik einer Heron P Drohne der Bundeswehr veranschaulicht.

Heron P Drohne der Bundeswehr | Foto: Wikipedia, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die angebliche Waffe

An dieser Stelle wird es regelrecht albern. Dimitri erzählt, dass der Copter eine „submachine gun“, also eine Maschinenpistole, mit einem 100 Schuss fassenden Magazin hat. Das, was auf dem Bild zu sehen ist, stellt hingegen keine funktionsfähige Waffe dar (dazu später mehr). Das, was man sehen kann, sieht nach dem Lauf, der Gasabnahme und dem Handschutz einer AR-15 Plattform aus. Das AR-15 ist allerdings ein Sturmgewehr (eng. assault rifle), so wie es die US-Armee als M16 oder M4 verwendet. Also keine Maschinenpistole. Nur ein kleiner Fehler, freilich. Aber einem Waffenprofi wie Dimitri wäre das sicher aufgefallen. 

Gehen wir also etwas genauer auf die Waffe ein, welche groß im Bild zu sehen ist. Waffentechnisch kann das, was da hängt kein Geschoss abfeuern. Dazu fehlen wesentliche Bestandteile einer Waffe. Das folgende Video soll den Mechanismus und die Funktionsweise des AR-15, aber grundsätzlich auch vieler anderer Gasdrucklader erläutern.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Es fehlen schlicht elementare Bauteile bei diesem Konstrukt. Rein theoretisch müsste in dem mit Kabelbinder am Heck fixierten Schlauch die Munitionszufuhr, der Abzug und das Pufferrohr versteckt sein. Das sieht jedenfalls aus, wie eine notdürftig zusammengeschraubte Ersatzteil-Halde. Und nicht einmal diese ist richtig zusammengesetzt. Lauf und Gasabnahme sind offenbar auf dem Kopf in den Handschutz montiert. Die Geometrie und der Aufnahmestift für ein Zweibein (in dieser Anordnung unsinnigerweise auf der Oberseite) legen diese Vermutung jedenfalls nahe. 

Zum Schluss des Kapitels „Waffe“ dann noch die Befestigung am Copter selbst. Diese besteht aus einer umfunktionierten Visieraufnahme, welche mit zwei Schrauben auf die NATO-Schiene des Handschutzes geschraubt wird. Das mag ein Rotpunktvisier auf der Waffe halten, die Waffe selbst am Copter eher nicht. Schon zweimal nicht, wenn dieses Ding tatsächlich schießen könnte. Das eine solche Befestigung auf Dauer die Energie des Waffenrückstoßes auffangen könnte, ist sehr fraglich. 

Flugleistungen

Gehen wir weiter im Video. Dimitri erzählt etwas über die Flugleistungen der Drohne. Diese fliege 30 Meilen pro Stunde schnell und eine dreiviertel Meile hoch. Das sind umgerechnet 48,2 km/h Geschwindigkeit und 402 Meter Flughöhe. Das klingt halbwegs realistisch, für eine Drohne dieser Größe. Mehr technische Details bleibt uns Dimitri leider schuldig. Es hätten da noch die Antriebe, die Rotoren oder die verwendeten Akkus interessiert. Ebenfalls hätte das Gesamtgewicht des Fluggeräts einen entscheidenden Hinweis geliefert. Wer das Video bereits kennt, der weiß, dass am Schluss noch mit einer eingebauten Sprengladung gespielt wird. All das zusammen mit einer vernünftigen Flugzeit stellt schon die Frage nach Akku und Gesamtgewicht in den Raum. Da es sich ja angeblich um eine militärisch nutzbare Drohne handeln soll, ist die Flugzeit relativ hoch anzusiedeln, denn mit sieben Minuten Flugzeit kann man auf dem modernen Gefechtsfeld nicht viel anrichten. Mal davon ausgehend, dass die Waffe funktionieren würde, habe ich die ungefähren Werte ermittelt. Alleine für Waffe, Munition, Akkus und Sprengladung ergeben sich also folgende Werte (ohne Copter selbst):

Acht Kilogramm sind für einen Copter dieser Größenklasse schon ein beachtliches Gewicht. Wie gesagt: Das Gewicht des Copters ist dabei noch nicht eingerechnet. Schätzen wir dieses einmal auf zwei Kilogramm, dann sind wir mit zehn Kilogramm wohl außerhalb dessen, was dieses Konstrukt, schon wegen der verwendeten Größe der Motoren, zu leisten im Stande seien dürfte.

Der Sender

Auch der Sender wird als absolutes Hightech-Produkt angepriesen. Bei Minute 1:30 wird das Feature gelobt, dass der Pilot auf dem Tablet alles sehen kann, was der Copter sieht. Nun, 2003 wäre das eine Nachricht gewesen. Heute kann das fast jeder Spielzeugcopter auf das Smartphone übertragen. Das Tablet, welches als Sender fungieren soll, wird nur einmal kurz ins Bild gehalten. Dort erkennt man schemenhaft das Bild der Kamera und zwei andere Fensterchen auf der Benutzeroberfläche, welche nicht näher zu erkennen sind. Allerdings vermisse ich hier Eingaben für die Steuerung des Copters. Nun gut, ein solches Hightech-Produkt fliegt bestimmt von alleine.

Der Flug

Hier dürfte der ein oder andere stutzig werden. Die offensichtlich aus dem PC erzeugten CGI-Effekte der Drohne im Flug legen nahe, dass dieses Gerät sich niemals in echt in die Luft erhoben hat. Wir konzentrieren uns daher nur noch auf zwei wesentliche Aspekte: Der Beschuss der Puppen und die Sprengung am Schluss.

Der Beschuss

Bei Minute 02:10 dreht Dimitri dann den Blei-Hahn auf. An dieser Stelle muss ich eines klarstellen: Es wird mit echten Waffen auf die Puppen geschossen, das steht außer Frage. Die Geschosse stammen aber von einem Schützen auf Bodenniveau, welcher rechts außerhalb des Bildbereichs steht – und nicht vom Copter (der ohnehin nicht fliegt). Gleich bei der ersten Einstellung kann man das sichtbar machen. Es wird die erste Puppe ganz vorne getroffen, der Winkel des Copters und der Waffe passen aber nicht. Sie würde in dieser Einstellung ungefähr auf die Füße der zweiten Puppe zielen. Und dann sind da noch die lästigen Spuren, welche so ein Geschoss in der Luft und an der Puppe hinterlässt. Im Kreis Nummer 1 sieht man, wie das Geschoss (begleitet von Gas und Schmutz) die Puppe wieder verlässt. Die Wolke legt nahe, dass das Projektil horizontal ein- und ausgedrungen ist und nicht von oben kommend. Zweiter Hinweis im Kreis Nummer 2 ist der Einschlag des Projektils im Boden. Ebenfalls horizontal hinter der Puppe. Wäre der Schuss von oben gekommen, dann müsste sowohl die Wolke als auch der Einschuss im Boden nach unten zeigend platziert sein. Das ewig gleiche Schussgeräusch aus dem Sound-Toolkit, das unrealistische Mündungsfeuer und die Tatsache, dass eine Drohne den Rückstoß eines Sturmgewehrs nur schwer so mühelos wegstecken könnte, ignorieren wir an dieser Stelle.

Das Spektakel geht weiter und mündet bei Minute 02:50 in den nächsten Höhepunkt. Beim Abflug der Drohne macht man sich noch die Mühe und konstruiert aufgewirbelten Staub der Antriebe in das Video. Dann fliegt der Pilot durch eine Fensteröffnung über einen Tisch, an welchem Personen sitzen. Auf dem Tisch liegen lose Spielkarten. Der Copter überfliegt den Tisch in ca. 10-15cm Abstand. Erst in der PoV-Perspektive fliegen die Karten weg. 

Im Anschluss daran werden die Personen vom Copter unter Feuer genommen. Der Copter steht im 90-Grad-Winkel vor dem Tisch. Auch hier legen die Spuren der Einschläge die Vermutung nahe, dass der wahre Schütze vom rechten Bildrand aus gefeuert hat. Die Schatten auf dem Boden und die Tatsache, dass die Wand gegenüber dem angeblich feuernden Copters völlig unberührt bleibt, bestärken diese These weiter.

Das große Finale

Bei Minute 04:20 geht Dimitri dann zum Frontalangriff über. Er steuert den Copter in das Innere einer Limousine, welche dann spektakulär in Flammen aufgeht. Die Deformation der Karosse, welche bei einer Sprengfalle eigentlich im Vordergrund steht, fällt eher minimal aus. Auch legt die Intensität des Feuers nahe, dass hier ein simpler Benzin-Brand zu Grunde liegt. Ganz vermisst habe ich eine Druckwelle oder ähnliches, was bei einer solchen Sprengladung nicht unerheblich ausfallen sollte.

Zum Vergleich ein Bild aus einem Schulungsvideos der US-Armee für den Umgang mit Sprengmitteln. Hier am Beispiel eines alten Mannschaftswagens.

Weniger Flammen, weniger Drama, dafür ist die Struktur und die Integrität des Fahrzeugs und der (angenommenen) Insassen völlig zerstört.

Fazit

Eines muss man an dieser Stelle klar und deutlich sagen: Aus sicherheitstechnischer Sicht können Drohnen und unbemannte Fluggeräte eine Gefahr darstellen. Auch mit wenigen Mitteln lassen sich extrem gefährliche Waffen herstellen und Anschläge realisieren. Die Tätigkeiten des Islamischen Staats in Syrien und im Irak mit handelsüblichen Coptern, welche mit Sprengstoff versehen wurden, legen das ausdrücklich dar. Auch mag ich es nicht ausschließen, dass es bereits Copter gibt, welche eine solche Waffe tragen und richtig einsetzen können. Bisher sind die allerdings noch extrem teuer und technisch vor dem, was der handelsübliche Markt hergibt. Bevor man also auf die Ente von Dimitri Potapoff alias Kyle Myers oder auf die eines anderen Youtubers aufspringt, lohnt sich ein besonnener Blick auf die Details. Schade nur, dass Videos wie das eben analysierte, dem ernsten Thema einen Bärendienst erweisen. Immerhin hat das Video 35 Millionen Aufrufe (Stand Dez. 2018).

PS: Wenn Sie mehr wissen wollen zum Thema Drohnendetektion, dann schauen Sie doch auf unserer Leistungsseite vorbei!  

Clemens Schindler

Security Consultant
Clemens Schindler ist ihr Ansprechpartner rund um die Themen Brandschutz und Sicherheitstechnologien und berät unsere Kunden online und vor Ort.

Jetzt weiterlesen!

Cybersicherheit

Sicherheitsbewertung moderner WLAN-Netzwerke: Ein Test mit dem WiFi Pineapple Mark VII

WLAN-Sicherheit auf dem Prüfstand: Mit dem WiFi Pineapple Mark VII decken wir die Schwachstellen moderner Netzwerke auf. Unsere Tests zeigen, wie leicht sich verbundene Geräte austricksen lassen und was Sie tun können, um Ihre WLAN-Infrastruktur zu schützen. Erfahren Sie mehr über effektive Schutzmaßnahmen und wie Sie potenziellen Angriffen einen Schritt voraus sein können.

Sicherheitsberatung

Gefahr im Verborgenen: Wie Falschalarme und Überwachungslücken moderne Sicherheitssysteme aushebeln

Falschalarme und Überwachungslücken sind die wahren Schwachstellen moderner Sicherheitssysteme. Trotz High-Tech-Lösungen bleiben echte Bedrohungen oft unerkannt. Erfahren Sie, wie intelligente Analysen und strategische Maßnahmen helfen, diese Sicherheitslücken zu schließen und die Alarmmüdigkeit zu überwinden.

Cybersicherheit, Sicherheitsberatung

Sicherheitstest: So leicht lassen sich Zugangssysteme manipulieren

Sicherheit in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen ist ein zentrales Anliegen, das uns alle betrifft. Doch wie sicher sind eigentlich die Zugangskontrollsysteme, auf die wir uns so häufig verlassen? 

Alternativ zum Formular können Sie uns auch eine E-Mail an info@concepture.de senden.